382 sogenannte „Kontrolleinsätze zur Bekämpfung der Clankriminalität“ gab es im Jahr 2019. Insgesamt 709 Läden wurden dabei kontrolliert, vor allen Dingen Shishabars- Fast 46.000 Einsatzstunden alleine bei der Polizei kosteten diese Maßnahmen. Auch 2020 geht es weiter.
Seit Längerem gibt es Kritik an den Einsätzen. Initiativen wie Kein Generalverdacht und Betroffene kritisieren sie als Show und Schikane. Bagatelldelikte würden zu Schwerverbrechen aufgebauscht und einfache Gewerbekontrollen im Stil von Razzien durchgeführt – nur ohne konkrete Hinweise auf Straftaten. Ein Blick auf die Ergebnisse bestätigt das Bild: Die größte Anzahl an Delikten, welche die Polizei in ihrer Jahresbilanz Clankriminalität führt, sind Ordnungswidrigkeiten. Rund 90% davon machen Verkehrsverstöße aus. Auch die Liste der Strafanzeigen, die aus den Kontrolleinsätzen hervorgeht, ist bemerkenswert: hier dominieren Betäubungsmitteldelikte und Verkehrsstraftaten die Liste.
Was aber haben Verkehrsdelikte mit „Clankriminalität“ zu tun? Auch hier ist der Blick in die Polizeibilanz aufschlussreich. Denn während die Definition früher noch den Verweis auf organisierte Kriminalität enthielt, ist das mittlerweile verschwunden. Nun spricht die Polizei nur noch von „arabischstämmigen Strukturen“. Kriminalität wird unverhohlen auf die ethnische Zugehörigkeit zurückgeführt. Die Definition enthält außerdem Merkmale wie „mangelnde Integrationsbereitschaft“, „patriarchale Familienstrukturen“ oder einer „grundsätzlichen Ablehnung der deutschen Rechtsordnung“. Schwammige Merkmale, die mit Strafrecht wenig zu tun haben, dafür viel mit kulturellen Stereotypen und rassistischen Zuschreibungen.
Broschüre der Polizei NRW spricht von „Umerziehung“
Auch in einer internen Borschüre der nordrhein-westphälischen Polizei wird deutlich, dass im Zentrum der Clandebatte nicht Straftaten, sondern brutale Maßnahmen gegen eine ethnisch und kulturell definierte Gruppe stehen. Wortwörtlich steht darin, dass auf die Unterscheidung von „Clanmitgliedern, die kriminell in Erscheinung getreten und solchen, die es nicht sind“ verzichtet wird, da es sich um eine Kollektivbetrachtung handele. „Zermürbung“ wird als Ziel polizeilicher Einsätze angeführt, oder „Misstrauen in die eigene Community stärken“. Über Frauen heißt es, sie seien „die Hüterinnen der Familie“, deren Rolle sich auf ihre „Gebärfunktion“ beziehe. Hundestaffeln und aggressiv auftretende weibliche Polizeibeamtinnen sollen gezielt Angst einjagen, Ehre und Männlichkeit verletzen. Bei der gesamtbehördlichen Strategie, so die Autorin der Broschüre Dorothee Dienstbühl, handele es sich um einen „Umerziehungsprozess“.
Der gemeinsame Nenner all dieser Verlautbarungen, polizeilicher Repressionen und medialer Skandalisierungen ist klar: Rassismus. Dadurch ist es möglich, dass kleine Verstöße, die bei einer Verkehrskontrolle auf der Hermannstraße festgestellt werden in der Statistik einer vermeintlich riesigen kriminellen Bedrohung landen. Und indem dieser Rassismus von Polizei, dem Berliner Innensenator und Neuköllns Bürgermeister aktiv geschürt wird, wird weiterhin die Schikane und Kriminalisierung von Neuköllner*innen betrieben.
Die im Artikel verwendeten Zahlen stammen aus der „Jahresbilanz 2019 zur Bekämpfung der Clankriminalität“ des Berliner Polizeipräsidenten. Weiterhin wird zitiert aus der Broschüre „Arabische Familienclans. Historie, Analyse, Ansätze zur Bekämpfung“ der Polizei NRW. Die anfangs beschriebene Kontrolle ist ein Augenzeugenbericht.