Acht Jahre lang habe ich Maßnahmen gemacht. Zwei davon haben nicht geklappt – aufgrund meiner Renitenz, könnte man sagen. Bei der letzten ging es hoch her. Zuerst wurde mir erzählt, es ginge um eine Tätigkeit als Bürohilfe. Verantwortlich war eine der großen Berliner Anbieterinnen von Maßnahmen. Das Ganze fand im Rahmen der sogenannten KAfKA, der »Kein Alkohol für Kinder Aktion« statt, eines von Buschkowskys öffentlichkeitswirksamen Aufräumprojekten. Hierfür hatte das Bezirksamt eben Aufgaben an eine GmbH outgesourcet. Mit Bürohilfe hatten die aber nichts zu tun.
Wir Maßnahmenleute sollten dabei quasi Hilfssheriffs sein: In grünen, bedruckten Westen in zwei täglichen Schichten durch die Spätis und Kneipen von Neukölln patrouillieren, 30 Stunden wöchentlich bis 22 Uhr abends. Auf einer Liste sollten wir notieren, wenn wir Alkoholverkauf mitbekamen, ob an Jugendliche verkauft wurde, wie viele Leute in dem jeweiligen Laden arbeiteten. Die Infos wurden ans Bezirksamt weitergegeben. Kann man sich ja vorstellen, wozu das diente. Das Bezirksamt konnte damit richtig viel Geld sparen. Und die Maßnahmenfirma verdiente auch gut daran, die Leute als Blockwarte zu beschäftigen, da sie dafür Gelder bekam.
Ich sollte in Neukölln bis spätabends herumziehen, um in Warnweste Nachbar*innen zu denunzieren.
Als mir klar wurde, dass ich in Neukölln bis spätabends herumziehen sollte, um in Warnweste Nachbar*innen zu denunzieren… das war ja Wahnsinn. Es war gut vorstellbar, dass mir dabei etwas zustoßen würde. Eine Kollegin rief beim Polizeirevier an. Der Kommissar an der Strippe war entsetzt. Wir sollten das um Gottes Willen nicht nach 20 Uhr tun.
Mir wurde dann der Vertrag vorgelegt. Vier bis fünf Seiten, dazu eine 72-seitige Betriebsordnung, das sollte ich sofort unterschreiben. Ich bat darum, den Vertrag mit nach Hause zu nehmen, um ihn in Ruhe zu lesen. Das ging nicht, der sei geheim. Also unterschrieb ich nicht.
Am nächsten Tag bekam ich dann eine Vorladung zur Neuköllner Chefin des Unternehmens. Und wurde für 3 Tage suspendiert. Die Kollegen hätten sich beschwert, ich würde agitieren und sie aufhetzen. Sie legte mir wieder den Vertrag vor.
Aber ich weigerte mich weiterhin, ihn zu unterschreiben, das war mir zu riskant. Schließlich musste die Chefin nachgeben und kündigte mir. Immerhin eine Verbesserung hatte ich durch meinen Protest erreicht: Die Leute mussten die Westen nicht mehr tragen. Und der Dienst endete um 20 Uhr.
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