Bereits in den Jahren 2011-2012 verübte die Neuköllner Nazi-Szene eine Reihe von Anschlägen. 2016 begann eine zweite Serie von Angriffen auf Linke und zivilgesellschaftliche engagierte Personen. Insgesamt 14 Mal wurden Privatautos angezündet, Aktivist*innen geoutet, Fenster von Privatwohnungen eingeschmissen und ein Brandsatz in ein linkes Café gesetzt. Leib und Leben von Personen waren dabei mehrfach in Gefahr. Zuletzt traf es den linken Buchhändler Heinz Ostermann aus Rudow und Ferat Kocak, aktiv bei der linken und der HDP. Sein Auto wurde direkt neben dem Wohnhaus seiner Familie in Brand gesetzt. Antifaschistische Aktivist*innen, SPD-Abgeordnete und Gewerkschafter wurden bei vorherigen Anschlägen angegriffen.
Altbekannte Verdächtigte
Zwei polizeiliche Einheiten sind mit den Ermittlungen betraut. Einerseits die Ermittlungsgruppe Rechtsextremistische Straftaten in Neukölln (eg resin), anderseits die dem Polizeiabschnitt Zwickauer Damm zugehörige og rex (Operative Gruppe Rechtsextremismus).
Doch bisher gibt es keine handfesten Ergebnisse. Zwar sind der Polizei anscheinend zwei Personen bekannt, die Ferat Kocak über längere Zeit beobachtet haben. Funde in ihren Wohnungen im Rahmen von Razzien deuten auf Gewaltbereitschaft hin. Doch offenbar fehlt die direkte Verbindung zur Tat. Laut Medienberichten sind die Verdächtigten der jüngsten Anschläge altbekannte Akteure der Neuköllner Naziszene. Der NPD-Kader Sebastian T., der 2016 zeitgleich mit dem Beginn der zweiten Anschlagsserie aus dem Gefängnis entlassen wurde, wurde mehrmals in Verbindung mit den Brandanschlägen von der Polizei aufgegriffen und wieder freigelassen. Ein mutmaßlicher Komplize, dessen Wohnung ebenfalls im Zusammenhang mit den Anschlägen durchsucht wurde, ist ein AfDler mit Neonazi-Vergangenheit. Im Visier der Polizei in Bezug auf frühere Angriffe stand ein weiterer, mehrfach vorbestrafter Mann aus dem Neonazi-Milieu.
Obwohl die gewaltbereiten Akteure der Neuköllner Neonaziszene seit Jahren bekannt sind, wurde bisher kein einziger Täter in der Anschlagsserie verurteilt. Einige der Verfahren wurden bereits erfolglos eingestellt. Gleichzeitig wird der Polizeischutz der Betroffenen teilweise intensiviert. Diese sind verunsichert – die Bedrohungssituation besteht offenbar nach wie vor, ohne dass die Taten aufgeklärt worden sind. Ferat Kocak vermisst eine ernsthafte Bündelung der verschiedenen Ermittlungsverfahren rund um die Anschlagsserie zu einem Komplex, in dem auch der Mord an Burak Bektaş 2009 berücksichtigt wird. Durch die Einstellung der Verfahren, befürchtet er, könnten die Täter sich ermutigt fühlen, ihre Anschläge fortzusetzen. Eines haben sie bereits erreicht: Aus dem Wohnhaus seiner Familie ist Ferat Kocak inzwischen ausgezogen.
Rechte Milieus gedeihen
Südneukölln ist schon lange als Knotenpunkt eines Netzwerks der extremen Rechten bekannt. NPDler, die sogenannten Neuköllner »Freien Kräfte« und AfDler sind hier aktiv. Ihr Hauptaktivitätsfeld befindet sich wohl rund um Gropiusstadt. Hier häufen sich Sticker mit rechter Propaganda, NPD-Plakate und Hakenkreuzschmierereien. Linke Poster werden regelmäßig abgerissen, rassistische Beleidigungen und Übergriffe gehören Alltag. Letzten Winter wurden im Bezirk eine Reihe von Stolpersteinen aus dem Pflaster gerissen. Jüngst startete die Neuköllner NPD außerdem den Versuch, eine rechte Bürgerwehr aufzustellen, die »Schutzzonen für Deutsche« einrichten sollte. Auch der Afd-Bezirksverordnete SteffenSchröter meldete auf Facebook seine Bereitschaft an, sich daran zu beteiligen.
Die Neuköllner Anschlagsserie gedeiht auf dem Boden eines seit Jahren aktiven Neonazi-Milieus, das auch Nähe zur AfD aufweist. Vieles deutet darauf hin, dass hier ein gefährliches Terrornetzwerk weiter wachsen kann. Bei einer großen antifaschistischen Demonstration im April begehrten viele Neuköllner*innen gegen die rechte Gewalt auf. Initativen wie Hufeisern gegen Rechts, Einrichtungen wie die Buchhandlung Leporello, Gewerkschaften und linke Parteien stellen sich schon seit Jahren gegen die Erstarkung von Nazistrukturen. Die Neuköllner BVV hat bereits gefordert, dass die Anschlagsserie als terroristisch eingestuft wird. Auch viele der Betroffenen wünschen sich von der Staatsanwalt eine solche Einstufung. Doch anscheinend entfaltet all das immer noch keinen ausreichenden Druck auf die Ermittlungsbehörden, um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.