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Rassismus

Warum der Begriff „Clankriminalität“ falsch ist

Younes Aziz* ist in Neukölln geboren und aufgewachsen. Dass der Bezirksbürgermeister jetzt verstärkt gegen arabische »Clans« vorgehen will, empfindet Younes als verlogen und rassistisch.

Im September dieses Jahres wird am helllichten Tag ein Mann in der Nähe des Tempelhofer Felds erschossen. Nidal R. ist der Polizei als Täter in Gewalt- und Diebstahlsdelikten mit Verbindungen in die organisierte Kriminalität bekannt. Der Mord an ihm beweist das erschreckende Ausmaß der Rivalitäten in der Berliner Unterwelt. Ihn lückenlos aufzuklären ist die wichtige Aufgabe des Rechtsstaats. Leider hat sich die Debatte um den Mord zusehends verselbständigt. Und in ihr geht es nicht darum, einen Mord aufzuklären. Stattdessen hat das Neuköllner Bezirksamt unter Bürgermeister Martin Hikel den Kampf gegen die Clans zur Chefsache erklärt, um damit eine Imagekampagne großen Stils zu fahren. Aber warum setzt er sich nicht einfach gegen organisierte Kriminalität ein? Und was ist das Problem mit dem Begriff der Clankriminalität?

Es ist bei Leibe nicht jeder arabischstämmige Neuköllner kriminell, wie uns Hikel und Bildzeitung glaubhaft machen wollen.

Das Gerede von den kriminellen arabischen Großfamilien ist nicht nur seit 4 Blocks ein Dauerbrenner in der Hauptstadtpresse. Doch in Wahrheit versteckt sich hinter diesem Begriff, der in der rotgrünen Zählgemeinschaft in Neukölln als »clanbasierte Kriminalität« bezeichnet wird, eine ungeheure Vereinfachung komplexer sozialer Probleme. Statt die Ursache der Kriminalität auf den einzig validen Faktor, nämlich der sozialen Stellung und die damit verbunden Aufstiegschancen zurückzuführen, wird das Problem zu einer Frage der kulturellen Werte und hergebrachten Tradition erklärt. Denn der Begriff enthält die Behauptung, dass die Ursache der Kriminalität der (arabische) Clan, also eine Familienzugehörigkeit ist. Das kriminelle Verhalten wird also auf Blutsbande zurückgeführt und damit »ethnisiert«. Mit den Clans wird ein Schreckgespenst entworfen, dass die Probleme nicht mehr sozial, sondern ethnisch erklären will. Dieses Vorgehen muss man als das bezeichnen was es ist – rassistisch.

Es ist bei Leibe nicht jeder arabischstämmige Neuköllner kriminell, wie uns Hikel und Bildzeitung glaubhaft machen wollen. Außerdem ist es keine neue Erkenntnis, dass die organisierte Kriminalität in gewissen Milieus mehr und in anderen weniger gedeiht. Die organisierte Kriminalität baut nämlich auf bestehenden soziale Beziehungen auf, also Freunde, Nachbarschaft und Familie. Was die Menschen letztlich verbindet oder was sie gemein haben, ist aber nicht die ethnische Zugehörigkeit, sondern ihre soziale Stellung in unserer Gesellschaft. Bei dem Stuss der von der SPD-Spitze zum Teil verbreitet wird, der im Klartext behauptet, jeder arabischstämmige Neuköllner sei qua Geburt kriminell, fragt man sich, ob der SPD klar ist, dass sie das Bezirksamt seit bald fast 2 Jahrzehnten führt.

Nicht tradierte Werte und archaische Strukturen, sondern politisches Versagen hat viele in die organisierte Kriminalität geführt.

Als Neuköllner müsste Herr Hikel wissen, dass die Familien, die er jetzt kriminalisiert, in den 80ern und 90ern nach Deutschland kamen. Als staatenlose Geflüchtete wurden sie durch eine zutiefst unwillige wie unfähige deutsche Bürokratie in ihren Rechten missachtet. Da sie keinen klaren Flüchtlingsstatus erhielten, waren Kettenduldungen, Erwerbsverbot oder fehlende Schulpflicht die unmissverständliche Absage der deutschen Gesellschaft an diese Menschen. Hier liegen die Integrationshindernisse, welche der Neuköllner Bürgermeister verschweigt, während er die Leidtragenden für eine PR-Offensive benutzt. Nicht tradierte Werte und archaische Strukturen, sondern politische Verfehlungen haben viele in die organisierte Kriminalität geführt.

Und noch einmal, obwohl dies eine Selbstverständlichkeit sein sollte: Es sind bestimmt nicht alle kriminell, die über die Sonnenallee laufen. Herr Hikel, auf ihre eigenen Neuköllner Bürger*innen zu treten, mag für Sie politisch opportun sein. Aber ich möchte Sie daran erinnern, dass Sie der Bezirksbürgermeister aller Neuköllner*innen sind. Sie haben der Fatima und dem Ali, die heute noch zur Grundschule gehen, mit dieser Debatte keinen Gefallen getan, sondern die Stigmatisierung arabischstämmiger Neuköllner*innen weiter politisch legitimiert. Es ist wichtig, Probleme anzusprechen, aber es ist nicht damit getan, mit dem Finger auf die sozial Benachteiligten und weniger Privilegierten zu zeigen und sie alle in eine Schublade zu packen. Es ist auch nicht damit getan, sich selbstgerecht zum Samariter zu erklären, ohne mit einer Silbe das politische Versagen der eigenen Partei zu benennen.

* Auf Wunsch des Autoren veröffentlichen wir diesen Artikel unter Pseudonym. Die Identität des Autoren ist der Neuköllnisch bekannt.

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