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Europa

EU-Copyright-Reform stärkt Macht der großen Plattformen

Die kontroversielle EU-Urheberrechtsreform wurde gegen große Proteste beschlossen. Problematisch sind vor allem die durch das Gesetz erzwungenen Uploadfilter. Nicht nur haben diese eine Tendenz zu Diskriminierung und Intransparenz. Sie übertragen auch weitere Macht an große Internetkonzerne.

Ende März hat das EU-Parlament eine Reform des Urheberrechts beschlossen. Das Gesetz gehört zu den vielleicht folgenschwersten politischen Maßnahmen der aktuellen Zeit, auch wenn sich seine Effekte wohl nur langsam zeigen werden. Trotz heftiger Proteste auf den Straßen einiger europäischer Länder haben sich im EU-Parlament jene Kräfte durchgesetzt, die sich wohl die Printmedien-Kultur des letzten Jahrhunderts zurückwünschen. Teils aus Unverstand gegenüber dem Funktionieren des Internets, teils unter großem Druck der Lobbyaktivitäten von Verlagen und Verwertungsgesellschaften, wurde ein Gesetz beschlossen, das tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen bringen und auf lange Sicht den großen Plattformunternehmen im Netz nützen wird.

Die Kritik betrifft vor allem den Artikel 17 (vormals Artikel 13) der Richtlinie. Dieser wird zur Folge haben, dass Plattformen und Portale im Netz algorithmische Techniken zur Filterung von Nutzerbeiträgen einsetzen werden. Solche Algorithmen sind bekannt dafür, Minderheiten zu diskriminieren, Ironise und Satire nicht zu erkennen, intransparent zu verfahren und in einigen Prozent der Fälle fehlerhaft zu entscheiden, ohne dass das korrigiert werden kann. Eine weitere Wirkung des neuen Gesetzes: Zwar wird es immer wieder als Maßnahme gegen das Profitstreben großer Plattformunternehmen wie YouTube oder Facebook angeführt. Doch wird es gerade diesen Unternehmen am Ende in die Hände spielen und ihre Macht noch weiter stärken.

Belastung für kleine und unabhängige Portale

Stellen Sie sich vor, Sie unterhalten ein kleines Diskussionsportal im Netz, zum Beispiel einen politischen Blog, ein Portal für Amateurfotographie, oder für Kochrezepte. In Ihrem Portal können die Nutzer*innen nicht nur Textbeiträge schreiben, sondern auch Fotos oder kleine Videos hochladen. Sie sind froh, eine kleine Nutzercommunity zu haben, die all das nicht über die großen Plattformen wie Facebook oder YouTube macht. Denn diese betreiben eine Datensammlung und -verwertung im großen Stil, die sich der Kontrolle der Nutzer*innen komplett entzieht. Weil der Betrieb Ihres Portals natürlich Aufwand bedeutet und Geld kostet, generieren Sie über Werbeanzeigen Einnahmen, mit denen Sie das alles unterhalten können. Nach dem Gesetz handeln Sie somit gewerblich, und in dieser Situation bedeutet die EU-Reform für Sie nun einen tiefen Eingriff.

Bisher mussten Sie Beiträge Ihrer Nutzer*innen dann löschen, wenn sich jemand Drittes wegen einer Urheberrechtsverletzung durch diesen Beitrag bei Ihnen beschwerte. Schadensersatzpflichtig war dann der_diejenige, der_die das geschützte Material – Foto, Video, Musik – auf ihrem Portal hochgeladen hatte. Nach der Reform müssen Sie nun jeden einzelnen hochgeladenen Beitrag darauf überprüfen, ob er möglicherweise Urheberrechtsverletzungen begeht, und zwar bevor dieser Beitrag für andere Nutzer öffentlich wird.

Zwang zum Uploadfilter

Stellen Sie sich vor, Ihr Portal hätte 5.000 User (was ein kleines Portal wäre), und jede_r davon postet einmal am Tag etwas. Sie müssten dann jeden Tag 5.000 Beiträge auf Konformität mit den Ansprüchen möglicher Rechteinhaber*innen prüfen. Wenn das bei jedem Beitrag 10 Sekunden dauern würde, bräuchten Sie dafür 30 Stunden.

Nicht nur würden die Diskussionen auf Ihrem Portal dann unheimlich verzögert werden, weil die Antworten der User nicht mehr sofort, sondern erst nach Stunden erscheinen würden. Selbst wenn Sie diese 30 Stunden Zeit hätten oder dafür Mitarbeiter*innen einstellen könnten – Sie bräuchten dafür ja Menschen, die jeden möglicherweise urheberrechtlich geschützten Song, jedes geschützte Bild oder Textsnippet im Kopf hätten und es sofort erkennen würden. Denn Sie müssten auch ausschließen, dass Teilinhalte des hochgeladenen Materials, etwa die Musik im Hintergrund eines Videos oder Bilder, die in einem Video oder Foto zu sehen sind, urheberrechtlich geschützt wären.

Nur Google und Co. können es sich leisten

Weil natürlich niemand das ganze geschützte Material im Kopf hat, läuft die Regelung auch für kleine Portale mit geringem Volumen darauf hinaus, algorithmische Erkennungssysteme einsetzen zu müssen. Solche Systeme basieren auf künstlicher Intelligenz, die – neben bereits diskutierten Gefahren wie algorithmischer Diskriminierung, Fehleranfälligkeit und Missbrauch für Zensur – vor allem extrem aufwendig in der Entwicklung und der Unterhaltung sind. Solche Systeme können sich nur große Technologieunternehmen wie Google und Facebook leisten. Was wird passieren? Große Plattformbetreiber werden die Filterung der hochgeladenen Inhalte als Dienstleistung anbieten. Gegen Gebühr können Sie dann die Inhalte Ihres Portals von Google oder Facebook klassifizieren lassen.

Das würde eine weitere Stärkung der Macht dieser großen Plattformen bedeuten: Erstens würden Sie die Inhalte Ihres Portals, die bislang nicht über diese Plattformen gelaufen sind, dann doch dorthin geschicken (um sie filtern zu lassen). Zweitens, würde eine monetäre Umverteilung von unten nach oben stattfindet, denn Ihr kleines Portal muss ein großes Unternehmen dafür bezahlen, die Inhalte zu filtern. Drittens, und das ist vielleicht das Schlimmste: Die Macht, darüber zu entscheiden, was eine Urheberrechtsverletzung ist und was nicht, verlagert sich hiermit aus den rechtsstaatlichen Strukturen in die privaten Strukturen weniger internationaler Technologieunternehmen.

Es ist eine folgenschwere Entscheidung, mit den Mitteln der Regulierung – die im Feld des Digitalen eigentlich höchst willkommen wären, wenn sie gut gemacht sind – die Rolle des Staates eigentlich zu schwächen, indem nicht ein öffentlich kontrollierbares Verfahren, sondern privat betriebene Algorithmen über Rechtsverstöße entscheiden.

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