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Screenshot eines Tweets des Journalisten Alexander Fröhlich. Credit:

Repression

Saubermänner auf Kriegszug

Dämonisierung, dann Durchgreifen. So die Dynamik der Clan-Debatte. Doch die aktuellen Razzien sind rechtlich fragwürdig. Sie scheinen weniger der Bekämpfung von organisierter Kriminalität als der Profilierung von Politiker*innen zu dienen. Mit massiver Diskriminierung zur Folge. Ein Kommentar

Pauschalverdächtigung: Nur eines der Ergebnisse der Clan-Debatte. Hier am Beispiel eines Tweets vom Journalisten Alexander Fröhlich, der Menschen mit dem Familiennamen Remmo in der Berliner Polizei für verdächtig hält.

Razzia. Das Wort ist aus dem Arabischen abgeleitet. »Ghazwa« bedeutet Kriegszug, Raubzug, Invasion. Auf Kriegszügen durch den Norden Neuköllns sind seit Anfang des letzten Jahres auch Ordnungsamt, Zoll, Steuer, Polizei und eine Armada von Hauptstadtmedien regelmäßig unterwegs. Angeführt von Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) stürmen sie im Großaufgebot die Bars und Shisha-Cafés. Mit den sogenannten »Verbundseinsätzen« möchte Hikel die sogenannte »Clan-Kriminalität« bekämpfen.

Martin Hikel sitzt auf dem Bürgermeister-Posten des meistgefürchteten Stadtteils der Bundesrepublik. Als Nachfolger des selbsternannten rassistischen Klartext-Redners Buschkowsky und der zur Familienministerin aufgestiegenen und durch einen Plagiatsskandal schon fast wieder entthronten Franziska Giffey. Neuköllner Bezirkspolitik ist Karriererampe für republikweiten Fame. Denn unser vermeintlich vermüllter und vom Verbrechen gebeutelter »Problembezirk« verleitet zur Projektion von Chaos und Anarchie und drängt sich ambitionierten Kommunalpolitiker*innen folglich für Inszenierungen als Aufräumtruppe geradezu auf. Das hat die SPD begriffen. Auch auf die CDU-Regionalkonferenz im letzten Herbst schaffte es Neukölln als Metapher für eine erodierende Ordnung, die dringend Durchgreifen erfordert, gleich mehrmals.

Scrollt man sich durch Hikels Facebook-Profil, atmet dieses die Harmlosigkeit von (SPD-)Bezirkspolitik: Eröffnung von Parkfesten, Rap im Gemeinschaftshaus oder die von einer Werbeagentur gestaltete Anti-Müll-Kampagne »Schön wie wir«, die Hikel auf Missionen wie die Schüler*innendemo »Attacke gegen Hundekacke« und andere öffentliche Putzaktionen schickt. Zu sehen ist der Bbm in Warnweste und mit Besen in Knallfarben – offenbar mit dem Ziel, die öffentliche Reinigung Neuköllns durch bürgerliches Ehrenamt zu ersetzen.

Doch hin und wieder auf dieser Scrollreise durch die Belanglosigkeiten eines repräsentativen Amts tauchen dramatisch andere Bilder auf. Mannschaftswagen im grellen Scheinwerferlicht. Schwerbewaffnete Hundertschaften. Close-Ups von Bullen mit Maschinengewehr. Schwer identifizierbare Nahaufnahmen von Tabakdosen und wie Kriegsbeute aufgestellte, farbig leuchtende Spielautomaten. Dann weiß man, Hikel war wieder einmal spätnachts unterwegs: auf Verbundseinsatz, Ghazwa, Razzia.

Nach dem Mord an Nidal R. im September 2018 war öffentlicher Druck entstanden, »etwas« zu tun – gegen Kriminalität, gegen das angebliche Schwinden des staatlichem Gewaltmonopols im vermeintlich von Großfamilien beherrschte Stadtviertel, gegen Gewalt. Schon im Vorjahr hatte Giffey als politisch-polizeiliches Instrument die »Schwerpunkteinsätze« ins Leben gerufen, konzertierte Einsätze von Ordnungsamt, Steuerfahndung, Zoll und Polizei in Nordneuköllner Lokalen.

Routinekontrollen mit Großaufgebot

Nun sollten diese, mittlerweile unter dem Titel »Verbundseinsätze«, der Bekämpfung der »Clans« dienen. In NRW laufen unter CDU-Innenminister Herbert Reul ähnliche Maßnahmen. Angesichts der vollmundigen Erklärungen zu ihren Zielen sind die gewissenhaft aufgelisteten Erträge in Neukölln unspektakulär: Schließung wegen mangelnder Lüftung, falsch aufgestellte Spielautomaten werden versiegelt. Ein Jugendlicher, der die Einsatztruppe beleidigt, wird vorläufig festgenommen, gestohlene Fahrräder konfisziert. Hin und wieder wird ein kleiner Drogenfund oder ein illegales Messer vermerkt. Sind das die Erfolge bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität?

Mittlerweile mehrt sich die Kritik. Schon im Januar fragte der Blogger Fefe in seinem politischen Online-Tagebuch, ob es sich wirklich um Maßnahmen gegen die organisierte Kriminalität handelt – oder einfach um Schikane »ausländischer Geschäftsleute«. Andere Vorwürfe: die Maßnahmen seien reine Show und rechtliche Willkür.

In der Tat: Abgesehen davon, dass die Mainstream-Öffentlichkeit bei dem äußerst vagen, aber populistisch wirksamen Schlagwort der »Clan-Kriminalität« einem Begriff mit stigmatisierenden und rassistischen Tendenzen aufsitzt (diesem Thema widmet sich Thomas Fischer in einer meisterhaften Spiegelkolumne), findet bei den Razzien eine merkwürdige Vermengung statt: Allem Anschein nach wird die Durchführung von ordnungsrechtlichen Routine-Maßnahmen mit Mannschaftswagen und Maschinengewehren aufgedonnert und als Bekämpfung von organisierter Kriminalität verkauft. Eine problematische Vermengung von Strafprozessrecht, Strafrecht und administrativem Recht, findet der Kriminologe Thomas Feltes.

Denn hauptsächlich werden ganz normale Gewerbekontrollen durchgeführt: Überprüfung von Lüftungsanlagen, Schwarzarbeit, Hygiene, etc. Dazu kommen Kontrollen der Einhaltung der Verkehrsordnung. Dass Gewerbe und Verkehr kontrolliert werden, ist Alltag. Und es ist Aufgabe des Ordnungsamts. Dass im Gastro-Gewerbe Regelverstöße und Schwarzarbeit stattfinden, dürfte niemanden überraschen. Das hat erstmal nicht notwendig etwas mit organisierter Kriminalität zu tun. Ein Alleinstellungsmerkmal von Shisha-Bars ist es sicherlich nicht. Trotzdem sind diese zur Zeit von unverhältnismäßig massiven Maßnahmen betroffen. Die Sinnhaftigkeit, solche Kontrollen spätabends und mit massivem Polizeiaufgebot durchzuführen – zum Teil war mit der Sonnenallee eine Neuköllner Hauptverkehrsader teilweise komplett abgesperrt –, muss stark bezweifelt werden.

Auffällig vage

Wie verhält es sich nun mit der angeblich bezweckten – und wünschenswerten – Bekämpfung von Strukturen der organisierten Kriminalität? Von diesem Gesichtspunkt aus wirken die Einsätze bestenfalls beliebig. In seiner Antwort auf eine Anfrage der LINKEN konnte Hikel beispielsweise für den Einsatz am 27. März von zehn kontrollierten Shisha-Bars bloß eine einzige nennen, die eine vage Verbindung zu organisierter Kriminalität aufwies: Hier hätten sich regelmäßig Nidal R. und andere »polizeibekannte« Personen aufgehalten. Das klingt nicht nach konkreten Verdachtsmomenten und handfesten Indizien. Und man muss nicht irrsinnig rechtsbewandert sein um zu wissen, dass sich ein Barinhaber nicht automatisch strafbar macht, wenn er fragwürdige Gäste bewirtet.

In der medialen Berichterstattung ist der Verweise auf »Clan-Kriminalität« auch nur als Schlagwort vorhanden. Die konkreten Verdachtsmomente verlieren sich ins Unsichtbare. Anekdotische Evidenz über die Schwammigkeit der Einsätze bietet ein schneller Vergleich zweier Razzienberichte des selben Journalisten: Während Alexander Fröhlich in seinem Artikel über die Nazi-Razzien in Cottbus konkrete Personen, Netzwerke und Vergehen auflistet und die Wichtigkeit der Maßnahmen begründet, schreibt er über die Shishabar-Razzien lapidar: »Im Visier standen die Sonnenallee und Karl-Marx-Straße”. Dass im deutschen Recht neuerdings kriminelle Straßenzüge existieren, wäre allerdings interessant.

Hat die Polizei vielleicht nicht genug konkrete Anhaltspunkte für Durchsuchungen und verwendet die Gewerbekontrollen als Vorwand für eine Art Rasterfahndung – in der Hoffnung, die eigene Unwissenheit durch Zufallsfunde zu vertuschen? Oder handelt es sich um eine bewusste Strategie, Misstrauen und Abneigung gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe anzuheizen, um von anderen Missständen abzulenken und polizeiliche Befugnisse auszuweiten?

(G)Reul und Nadelstiche

Tatsächlich gibt es einen Mann, der die fragwürdige Taktik auf den Begriff gebracht hat. Urheber der Clan-Razzien ist der nordrheinland-westphälische CDU-Innenminister Herbert Reul. Dieser hat sich ganz besonders dem Kampf gegen Deutschlands Shisha-Bars aka arabisch-stämmige Minderheit verschrieben. Die Strategie der wiederkehrenden massiven Razzien im Verbund der Behörden bezeichnet er mit einer bemerkenswerten Metapher: der einer Strategie »permanenten« oder »1000 Nadelstiche«. Ein interessanter Begriff, lassen doch Größe, Vorgehensweise und Kosten der Einsätze eher an Vorschlaghammer denn an Nadeln denken.

Mit Nadelstichen meint Reul: permanente Unruhe (»einfach Unruhe in dieses Publikum (sic!) bringen«), Präsenz zeigen, Machtdemonstration. Eine lupenreine Definition von Schikane, eigentlich. Die öffentliche Wirkung sei Teil der Einsatztaktik. Dass diese auch Unschuldige trifft und stigmatisierende Wirkung zeigt, gibt er offen zu – es ginge halt nicht anders: »Ich glaube, wir müssen in Kauf nehmen, dass der eine oder andere, die eine oder andere Shisha-Bar erwischt wird, der vielleicht [sic!] sich ordentlich verhält. Aber dann passiert ihm ja nichts.«

»So, das ist tätlicher Widerstand, da geht‘s in Bau jetzt für. Dann kannste die Schwangerschaft im Gefängnis machen. Drehst du jetzt noch einmal durch, hau ich dir was in die Schnauze. Hast du mich verstanden? Ein Mucks, dann hau ich dir ein paar ins Gesicht, dass du deine Zähne aufsammeln kannst.«

Das sind die Worte eines Dortmunder Polizisten zu einer Frau, die sich bei einer Shisha-Bar-Razzia verbal dagegen wehrt, dass ein Beamte ihre Kasse einfach öffnet (dokumentiert vom WDR hier). Ein ranghoher Beamte folgt ihr in den Hinterhof des Ladens, würgt sie, schlägt sie ins Gesicht. Mehrere Minuten drückt er die Schwangere mit dem Bauch auf den Boden. Sie fragt ihn, ob er eine deutsche Frau auch so behandelt hätte. »Natürlich nicht.«, erwidert der Polizist. Bei einer Razzia in Essen übt die Polizei unverhältnismäßige Gewalt gegen den Bruder eines Barbesitzers aus, schlägt ihn laut seinem Bericht auf der Wache zusammen und beleidigt ihn rassistisch. Konkrete Vorwürfe in Bezug auf Kriminalität gibt es keine. Die Polizei feiert den Einsatz als Schlag gegen libanesische Clans und stellt die Familie öffentlich auf den Pranger.

Es nennen was es ist: Rassismus

Reuls »Es passiert ihm ja nichts« drückt höchstens Wunschdenken, wahrscheinlicher einen abgrundtiefen Zynismus aus. Die NRW-Razzien haben bereits massive Gewalt gegen Menschen zur Folge gehabt: eine schwangere Frau, die nicht wollte, dass Polizist*innen ihre Kasse öffnen und ein Mann, der den falschen Nachnamen trägt.

Aber das sind nur die prominentesten Beispiele für die Konsequenzen einer zutiefst rassistischen Innenpolitik, die bestimmte Bevölkerungsgruppen diskursiv und administrativ diskriminiert und unter Pauschalverdacht stellt. Als ob die Ursache für die Probleme ganzer Stadtteile nicht in Armut, sozialen Spannungen und politischen Entscheidungen, sondern in deren Religion, Migrationsgeschichte oder kulturellen Zugehörigkeit lägen. Die Konstruktion solcher Sündenböcke spaltet, verursacht Gewalt und lastet den Betroffenen schwere Bürden auf.

Die diskriminierende Wirkung der Razzien beruht auf einer politischen Entscheidung. Denn gerade die Vermengung ordnungsrechtlicher Maßnahmen mit Maßnahmen gegen organisierte Kriminalität stellt aktiv die Assoziation von »allen arabischen Geschäftsleuten« mit der »organisierten Kriminalität« her. So wie der Clanbegriff Straftaten ethnisiert: auf eine bestimmte Herkunft und Familienangehörigkeit zurückführt. Das ist Rassismus. Eine Gruppe von Menschen wird auf Grund ihres kulturellen und ethnischen Hintergrunds und ihrer Verwandtschaftsbeziehungen zum Ziel repressiver Maßnahmen. Die gewählte politische Strategie »militanter Gewerbekontrollen« enthält also ansich eine starke diskriminierende Tendenz. Dass einige Politiker*innen ihre Karrieren darauf bauen, Rassismus zu schüren und Gewalt gegen Minderheiten zu befördern, ist unerträglich.

Die diversen Rechtfertigungsdiskurse für die Maßnahmen folgen einer alten Argumentationsfigur: Die Gewalt wird mit der vermeintlichen Unterwanderung des Rechtsstaats legitimiert. So würden die »Clans« das staatliche Gewaltmonopol in Frage stellen, den Rechtsstaat nicht respektieren. Mit Mehdi Chahrour könnte man fragen: Welche Kriminellen tun das eigentlich? Dass organisierte Kriminalität ein Problem ist, steht außer Zweifel. Der gegenwärtige Komplex aus repressiven Maßnahmen, diskriminierendem Polizeivorgehen und rassistischem medialen Diskurs gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe ist allerdings alles andere als geduldige Ermittlungsarbeit zwecks Aufklärung und Vermeidung.

Was passiert da gerade? Unbequeme Gruppen werden pauschal mit einer vermeintlichen Auflösung der rechtsstaatlichen Ordnung in Verbindung gebracht – womit man die politische Rechtfertigung liefert, rechtsstaatliche Prinzipien sehr weit zu dehnen, um diese Gruppen mit aller Gewalt des staatlichen Monopols zu verfolgen. Interessant ist, welche anderen Akteure in Zusammenhang mit solchen Vorwürfen auftauchen. Razzia-Architekt Reul beispielsweise nennt im selben Atemzug mit den »Clans« die Aktivist*innen vom Hambacher Forst. Das ist bezeichnend.

Die Ausweitung polizeilicher Befugnisse wird mit den neuen Polizeigesetzen gesetzlich verankert wird. Schon seit einiger Zeit macht sich eine Intensivierung polizeilicher Repression an vielen Orten bemerkbar. Die jüngsten gewaltvollen Razzien im Mensch Meier sind ein weiteres Beispiel. Auch der Vorstoß der Brandenburger Polizei, das seit Jahren friedlich verlaufende Fusion Festival massiv zu kontrollieren, gehört hier dazu. Die Legitimation hierfür liefern dämonisierende Diskurse. In diesem Zusammenhang muss man das Outing Neuköllns als Problembezirk oder linker Gruppen als Chaoten lesen. Solche Debatten sind zumeist die Vorboten von physischer Gewalt und Repression.

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