Hintergrund: Die Neuköllner Nazi-Terrorserie
Mitte März gab es neue Angriffe auf drei Neuköllner Antifaschist*innen. Die Täter sprühten Morddrohungen an die Hauswände ihrer Privatadressen. Auch die „Mobile Beratungsstelle gegen Rechts“ stand im Visier der Angreifer.
Schon seit Mai 2016 kommt es in Neukölln immer wieder zu rechten Übergriffen auf Menschen, die sich gegen rechts engagieren: Eingeworfene Scheiben, gesprengte Briefkästen, angezündete Autos, Läden, Cafés und Häuser. Mehrmals wurden Stolpersteine entwendet, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern.
Die Anschlagsserie kulminierte in Brandstiftungen auf die PKWs mehrerer links engagierter Neuköllner*innen, u. a. der Historikerin Claudia von Gelieu, der SPD-Verordneten Miriam Blumenthal, des Buchhändlers Heiz Ostermann und des linken Lokalpolitikers Ferat Kocak.
Trotz einer begrenzten und seit Jahren bekannten Neuköllner Neonazi-Szene gab es bisher keine Ermittlungserfolge. Im Gegenteil wurden mehrere Verfahren eingestellt. Die Betroffenen wandten sich daher Ende letzten Jahres an den Generalbundesanwalt, um eine Aufklärung zu erwirken und Schlimmeres zu verhindern . Doch dieser Vorstoß blieb erfolglos. Auch die Morde von Luke Holland im Jahr 2015 und der immer noch unaufgeklärte Mord an Burak Bektas 2012 gehören zum Neuköllner rechten Komplex.
LKA wusste von Vorbereitungen für Anschlag – und warnte nicht
Der Landesverfassungsschutz hatte Erkenntnisse darüber, dass die zwei mutmaßlichen Brandstifter der Neuköllner Anschlagsserie ihr Opfer Ferat Kocak bei einer Veranstaltung im Bezirk Neukölln gezielt beobachteten und nach Hause verfolgten. Dies teilte der Verfassungschutz dem LKA noch vor dem Anschlag mit. Inzwischen ist bekannt, dass auch das LKA selbst durch Abhören von Telefonaten wusste, dass Ferat Kocak in das Visier der Nazis geraten war. Dennoch blieb das LKA untätig und warnte ihn nicht.
Beamter trifft Neonazi – ohne Konsequenzen
Mitte April 2019 wurde öffentlich, dass der LKA-Beamte W. Kontakt zu einem mehrfach vorbestraften Neonazi unterhielt, der verdächtigt wird, an den Neuköllner Brandanschlägen beteiligt gewesen zu sein. W. soll von Beamten Berliner Sicherheitsbehörden dabei beobachtet worden sein, wie er sich in einer Kneipe in Neukölln-Rudow mit dem Tatverdächtigen und dem bekannten Berliner Neonazi T. traf und sie dann gemeinsam in seinem PKW wegfuhren. Ein Strafverfahren gegen den Beamten W. wurde eingestellt.
V-Mann-Führer unterschlägt Infos über NSU-Trio
Ein weiterer beim LKA Berlin beschäftigte Polizeibeamter W. ist mit rechtsextremistischen Äußerungen aufgefallen. Derselbe LKA-Beamte führte 2002 den V-Mann Starke, der dem NSU-Trio Sprengstoff besorgt hatte. Hier steht der Verdacht im Raum, dass W. wichtige Informationen nicht weitergegeben hat, die zur Aufdeckung des untergetauchten NSU Trios hätten führen können. Dieser LKA-Beamte hat lediglich einen Verweis wegen rechter Äußerungen im Dienst bekommen.
Drohbriefe an Antifaschist*innen – mit Daten aus dem Polizeicomputer
Der LKA-Beamte Sebastian K. aus Berlin verschickte 2017 Drohbriefe an linke Aktivist*innen. Seine Lebensgefährtin, die Kriminalkommissarin Zarah P., im LKA beim Staatsschutz angestellt, griff in zeitlicher Nähe zu den Drohbriefen auf das Polizeisystem „Poliks“ zu, das persönliche Daten über die linke Szene sammelt. Zeit online enthüllte kürzlich, dass Zarah P. außerdem dafür verantwortlich war, dass zwei Polizei-Beschatter von dem späteren Terroristen Anis Amri abgezogen wurden – um Besetzer*innen der Rigaer Straße zu überwachen. Sebastian K. und Zarah P. sind weiterhin im Dienst.