Anneliese Irmgard Lungewitz wurde im Jahr 1925 geboren. Sie wuchs in der Neuköllner Boddinstraße auf bevor sie zu ihrem Großeltern in den Prenzlauer Berg zog. Mit 17 wurde sie von den Nazis wegen Arbeitsverweigerung ins Gefängnis gesperrt. Danach hat sie ihren neuen Job bei der UFA-Filmgesellschaft auf Anweisung von oben verloren. Sie wurde zum Dienst bei Osram verpflichtet und nach Dresden versetzt. Dort wechselte sie in die Brauerei Felsenkeller. Nach dem Krieg arbeitete Anneliese als Trümmerfrau in Berlin, später wurde sie Verkäuferin in einer Konditorei. 1950 zog Anneliese mit ihrem Ehemann zurück nach Neukölln, diesmal in die Silbersteinstraße. 1975 konnte das Paar die Enge der Hinterhofwohnung verlassen und zog in die Gropiusstadt. Hier lebt sie jetzt schon 43 Jahre in ihrer Wohnung in der Lipschitzallee 59. »Es war ein wunderschönes Wohnen« beschreibt Anneliese die Zeit vor der Privatisierung der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Gehag. Jetzt hat sie von ihrem neuen Vermieter Gropiuswohnen GmbH eine Modernisierungsankündigung erhalten. Ein ärztliches Attest bestätigt, dass ihr weder die Bauarbeiten zuzumuten sind, noch eine Umsetzwohnung. Sie selbst fragt sich, was jetzt mit ihrem dementen Lebensgefährten sowie dem 13-Jahre alten Bolognesen und dem Wellensittich geschehen soll. Darauf hat sie von ihrem Vermieter bisher keine Antwort erhalten. Aber eines weiß sie: »Ich bin mein Leben lang noch nicht aus einer Wohnung rausgegangen und ich werde auch hier nicht gehen.«
»Ich bin mein Leben lang noch nicht aus einer Wohnung rausgegangen und ich werde auch jetzt nicht gehen.«
In den Jahren 1962-75 entstand im Süden Neuköllns die Gropiusstadt. Die von Walter Gropius geplante Großwohnsiedlung besteht aus rund 18.500 Wohnungen – 90% davon wurden als Sozialbauwohnungen errichtet. Bis vor Kurzem blieb dieser Stadtteil von der Verdrängung verschont. Nun beginnen auch hier Investoren und Eigentümer, die Mieten zu erhöhen. Aber viele wehren sich – wie die Urneuköllnerin Anneliese Lungewitz.