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Hauswand eines Plattenbaus in Gropiusstadt mit roten Balkons, Spiel von Licht und Schatten auf der gelben Fassade. Credit: Astrid Westvang (CC BY-NC-ND 2.0). https://flic.kr/p/7SpuJY

Mieten & Wohnen

Vom Haustürgespräch zur Mietenini

Linke sollten häufiger raus aus ihrer Blase, findet Susanne Steinborn. Deswegen organisiert sie in Gropiusstadt gemeinsam mit Mieter*innen und LINKE-Mitgliedern Widerstand gegen steigende Mieten. Über Organisierung bei Kaffee und Kuchen und Politik an der Haustür.

Gropiusstadt

Astrid Westvang (CC BY-NC-ND 2.0). https://flic.kr/p/7SpuJY

Du wohnst nicht in Gropiusstadt. Wie bist du dazu gekommen, dich dort gegen steigende Mieten einzusetzen?

Mit anderen Linken in die Plattenbauviertel am Stadtrand zu gehen und die Leute dort zu fragen, was sie beschäftigt und was sie für Sorgen haben, fand ich schon länger eine gute Idee. Die Leute, die ich kannte, wollten aber nicht mitmachen. Eine Woche vor der Bundestagswahl bin ich online in DIE LINKE eingetreten und als ich mich dann erkundigt habe, was man in der Partei so machen kann, gab es gerade in Kreuzberg Haustürwahlkampf. Das fand ich super, denn ich wollte ja eh bei Leuten an der Tür klopfen. An der ersten Tür öffnete mir gleich eine Frau, dem Aussehen nach Arbeiterin, die meinte: Was wir denken, interessiert eh keinen. Ich habe dann gesagt: Doch, mich interessiert das schon, und ich finde es wichtig, dass nicht nur die Reichen wählen gehen. Sie hat dann ganz interessiert zugehört, und nach einer Weile kamen sogar noch ihre zwei erwachsenen Söhne dazu, und sie wirkten wirklich erstaunt, dass jemand zu ihnen sagt: Es ist wichtig was ihr denkt, und wir wollen, dass für eure Interessen Politik gemacht wird! Das hat mir sehr viel Lust gemacht, das mit dem Klingeln bei Leuten noch mehr zu machen. Mir wurde dann gesagt, dass es Leute von der LINKEN gibt, die das in der Gropiusstadt machen. Dann habe ich also versucht, rauszubekommen, wann die da hingehen und hab mitgemacht.

Was hat dich an der Idee so gereizt?

Es gibt so viele Leute, die Sorgen und Nöte haben und sich von der herrschenden Politik nicht gut vertreten fühlen, aber die kommen in der Regel nicht von alleine drauf links zu werden. Viele von denen denken gar nicht, dass Politik was mit ihnen zu tun haben könnte. Und es gibt eher selten Linke, die wirklich zu den Leuten hingehen und sagen: Ihr habt völlig recht, unzufrieden zu sein, und hier ist ein Vorschlag, wie ihr daran etwas ändern könnt! Sondern wenn denkt man, dass die Leute zu uns kommen sollen. Weil wir so ein tolles Programm oder so tolle Ideen haben. Aber Leute, die mit uns nichts zu tun haben, kennen meistens auch diese Ideen nicht oder sie erleben sie nicht als Hilfe für ihre Lebenssituation. Deswegen sollten wir dringend zu den Leuten hingehen und mit ihnen überlegen, was man gegen ihre Probleme tun kann. Es gibt so viele, die sich nicht beteiligen, und ärmere Leute gehen meistens auch noch seltener wählen. Dabei braucht man die unbedingt, wenn man eine linke Hegemonie hinkriegen will, und ja auch um im Parlament was durchsetzen zu können.

Also sollten wir alle Haustürwahlkampf machen?

Ja, aber es bringt halt nichts, den Leuten an der Tür einfach zu sagen: Wählt uns, dann lösen wir eure Probleme. Wenn man eine Partei mit vielleicht 10 oder 20 Prozent im Parlament ist, kann man das doch gar nicht einlösen. Die Leute wissen, dass man das im Parlament nicht durchsetzen kann. Also muss man ihnen sagen: Lasst uns zusammen schauen, wie wir gemeinsam auf die Verantwortlichen Druck machen können, damit sich was ändert. Damit ist man als Partei dann auch glaubwürdiger. Und dann erleben die Leute auch, dass es lohnt, sich politisch einzusetzen, dass man was bewirken kann. Daran glaube viele ja gar nicht mehr.

In Gropiusstadt versuchst du das. Erinnerst du dich an den ersten Besuch?

Das war im Dezember 2017. Ich war mit einem Kollegen in einem Haus unterwegs, wo die Bewohner kurz vorher eine Ankündigung für eine energetische Sanierung mit einer drastischen Mieterhöhung bekommen hatten, und wir haben Einladungen zu einem ersten Treffen verteilt. Wir haben dann Kuchen gebacken und Kaffee gekocht, um uns mit den Bewohnern in gemütlicher Atmosphäre auszutauschen, wie man sich gegen diese Mieterhöhungen zur Wehr setzen kann. Eine Mieterin hat uns dann irgendwann gefragt: Warum wollt ihr uns eigentlich helfen? Wir haben geantwortet, dass in der ganzen Stadt die Mieten steigen und uns das selber auch Sorgen macht, dass man sich dagegen zur Wehr setzen muss, damit es nicht für alle immer schlimmer wird. Dass wir das also auch als eine Art Selbstverteidigung machen. Das haben sie glaube ich verstanden und hatten dann Lust, mit uns zusammen was zu machen.

Ihr habt dann eine Mieterinitiative gegründet.

Ja, das ging dann alles erstaunlich schnell. Nach dem ersten Treffen Mitte Dezember gab es im Januar 2018 einen gemeinsamen Besuch im Rathaus Neukölln, der mich sehr beeindruckt hat. Es waren ziemlich viele Leute aus dem Haus dabei, einige hatten ein Transparent gemalt und haben es von der Tribüne gehängt. Als sie aufgefordert wurden, es wegzunehmen, haben sie es kurz hochgeholt, aber wollten sich das dann doch nicht gefallen lassen, weil sie sich so viel Mühe mit dem Transparent gegeben hatten und haben es wieder runtergelassen. Es waren eher ältere Frauen, wirklich nicht die üblichen Polit-Aktivisten. Nach der Sitzung meinte eine Rentnerin enttäuscht von den höflichen Phrasen der Politiker, dass sie das nächste Mal gleich eine Demo vorm Rathaus machen sollten. Wir sind dann noch in einer Spontandemo über die Karl-Marx-Straße gelaufen, das war wirklich ihre Idee, weil die Mieter ihr Transparent noch bisschen zeigen wollten. Das hat richtig Spaß gemacht, wir haben zusammen Sprechchöre gerufen und sie haben Beifall von Passanten bekommen. Es gibt durchaus eine Bereitschaft von Leuten, aktiv zu werden, aber man braucht Leute, mit denen zusammen man das machen kann und Ideen, wie man sich politisch Gehör verschafft und Sachen durchsetzen kann. Das ist ja nicht immer so verbreitet.

Was sind dabei die größten Herausforderungen für dich?

Manchmal finde ich es herausfordernd, Sitzungen zu moderieren, wenn Leute gemeinsame Planungsprozesse gar nicht gewöhnt sind. Es gibt meist viel Redebedarf, weil die Probleme so groß sind, und gleichzeitig soll die Sitzung nicht ewig gehen, sich keiner langweilen und alle zu Wort kommen. Da komme ich öfter an meine Grenzen.

Was waren für dich bisher die größten Erfolge des Projekts?

Mittlerweile gibt es einen Aufstellungsbeschluss für eine Umstrukturierungsverordnung in der Gropiusstadt. Dadurch können Bauanträge ein Jahr oder länger zurückgestellt werden und wir haben ein Druckmittel den Eigentümern gegenüber, die natürlich weiter sanieren wollen. Ich kann nicht komplett einschätzen, ob das vielleicht auch ohne uns passiert wäre, aber mein Eindruck ist: Eher nicht. Das Bezirksamt hatte anfangs nicht wirklich auf dem Schirm, dass es in der Gropiusstadt ein Problem mit den Mieten gibt. Ein wichtiger Schritt war außerdem unsere Kundgebung gegen steigende Mieten im Herbst. Wir hatten dort Bierbänke aufgestellt und Kaffee und Kuchen angeboten. Es war eine gemütliche Atmosphäre, und auch tolle Redebeiträge der Mieter*innen. Wir haben dort mit vielen Leuten aus dem Viertel gesprochen und hinterher fingen die Leute an, sich bei uns zu melden, wenn sie eine Modernisierungsankündigung bekommen hatten. Mittlerweile gibt es in vier Häusergruppen viele Kontakte und teils stabile Initiativen, das ist ein großer Erfolg. Nach einem guten Jahr Arbeit glaube ich, dass es realistisch ist, die Leute in der ganzen Gropiusstadt zu vernetzen. Nicht in zehn, sondern eher in anderthalb Jahren. Und wir sind dort nur mit sechs Leuten aktiv. Es würde also auch nicht so viele Leute brauchen, um das in ganz Berlin oder in anderen Gegenden zu machen.

Beim Modellprojekt wird viel Neues ausprobiert. Gibt es etwas, was dich überrascht hat?

Eigentlich nicht. Ich finde es eher erstaunlich, dass sowas nicht noch viel mehr Leute machen. Es gibt so viele Linke da draußen und man könnte so viel auf die Beine stellen. Klar, es braucht etwas Zeit. Und es ist auch nicht ganz üblich, einfach bei Leuten zu klingeln, die man nicht kennt und mit ihnen in Kontakt zu kommen. Aber viele freuen sich wirklich drüber, dass sich mal jemand für ihre Probleme interessiert und sie dabei unterstützen will. Linke müssten wirklich noch viel mehr da hingehen, wo Leute Sorgen und Nöte haben, und ihnen vorschlagen: Lasst uns einen Plan machen und das zusammen angehen. Teilweise scheinen sie aber auch unsicher zu sein, wie man eigentlich mit normalen Leuten redet.

Hast du das Gefühl, dass sich die Beteiligten durch die gemeinsame Arbeit verändert haben?

Viele Sachen machen die Leute oft zum ersten Mal: einen offenen Brief an den Bürgermeister schreiben, im Rathaus eine Anfrage stellen, oder auch eine Spontandemo auf der Straße. Als wir im Frühjahr mit einigen Mietern bei der großen Mietendemo waren, sagte einer von ihnen, dass es die erste Demo in seinem Leben ist. Dadurch verändert sich glaube ich schon die Idee, wie man selber versuchen kann Einfluss zu nehmen, vor allem wenn man mit seiner Aktion Erfolg hat und etwas bewirkt. Aber auch wir aus der Organizing-Gruppe haben uns verändert. Ich selber hatte vorher zum Beispiel unterschätzt, wie wichtig es ist, Leute persönlich einzuladen, sich auch mal bei einem Kaffee zu unterhalten und eine persönliche Beziehung aufzubauen. Gerade wenn Leute Sachen machen, die sie vorher noch nicht gemacht haben, hat das auch ein bisschen was mit Vertrauen zu tun. Dazu ist es gut, wenn die Leute uns auch kennenlernen und einschätzen können und merken, dass wir vernünftig sind. Durchs Haus gehen, Leute informieren und zum Treffen einladen, wie wir das am Anfang gemacht haben, ist wichtig, aber das reicht teilweise nicht. Das macht es natürlich zeitaufwändiger, aber dabei kann man dann auch mehr über Politik reden. Und man kommt auch selber stärker weg von seinem akademischen Mittelschicht-Hintergrund. Das ist auch ein Vorteil.

Was sollte es jetzt weitergehen?

Man sollte eigentlich das ganze Land mit solchen Projekten überziehen. Dafür bräuchte es glaube ich auch gar nicht so viele Leute. In der Partei gibt es doch garantiert viele Mitglieder, die Lust haben, sich einzusetzen und was voranzubringen, und auch genug, die freundlich mit Leuten reden und zuhören können. Es würde glaube ich sehr helfen, die Einsicht zu verbreiten, dass es nicht reicht eine Partei zu wählen und möglichst viele Stimmen zu bekommen, wenn man will, dass sich wirklich was ändert. Egal wie gut es Parlamentarier*innen meinen, sie können ja nicht zaubern. Also muss man überlegen, wie man mehr Macht auf seine Seite kriegt, und Macht hat man, wenn die Leute auf unserer Seite sind und in Zweifel bereit sind, für ihre Überzeugungen und ihre Bedürfnisse auch Druck zu machen. Aber dazu muss man eben auf die Leute zugehen und mit ihnen reden über das, was sie wirklich bewegt. Es gibt garantiert noch eine Menge Leute, die Lust hätten, bei sowas mitzumachen. Sowohl als Organizer*innen, als auch Leute, die sich freuen, wenn bei ihnen endlich mal jemand vorbeikommt und mit ihnen gemeinsam an ihren Problemen was ändern will.

Dieser Artikel ist eine Zweitveröffentlichung. Zuerst ist er hier in der Zeitschrift Luxemburg erschienen.

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