In der Gropiusstadt am unteren Rand Neuköllns kündigt sich ein Gewitter an. Man hört den Donner näher kommen. Trotzdem haben sich rund 200 Mieter*innen der umliegenden Häuser auf dem Lipschitzplatz zu einer Kundgebung unter dem Motto „Bezahlbare Mieten für alle“ versammelt. Bedrohlicher als der Donner scheint für sie nämlich das zu sein, was man seit Langem überall in Berlin beobachten kann: Steigende Mietpreise und Verdrängung.
In der Gropiusstadt organisiert sich dagegen auf Initiative einiger Aktivist*innen der LINKEN Neukölln Widerstand. Anfang 2018 begannen wir im Rahmen eines Community Organizing Modellprojekts an Türen zu klingeln, um Mieter*innen kennenzulernen und mit ihnen gemeinsam Druck auf Bezirkspolitik und Hausverwaltungen zu machen. In der Gropiusstadt sind ein Großteil der Wohnungen im Bestand der Deutschen Wohnen und Gropiuswohnen – die meisten davon waren früher Sozialwohnungen der GEHAG GmbH, die 1998 teilprivatisiert wurde.
Spontanprotest auf der Karl-Marx-Straße
Mittlerweile gibt es in vier Häusergruppen viele Kontakte und teils stabile Mieter*inneninitiativen. Allen voran hat die Mieter*inneninitiative Ulli mit zwei Häusern im Ulrich-von-Hassel-Weg kürzlich Erfolge erzielt. Los ging es, als die Mieter*innen im Herbst 2018 eine Ankündigung für energetische Sanierungen im Briefkasten hatten, auf die eine Mieterhöhung von bis zu 300 Euro folgen sollte. Mieter*innen schrieben einen Brief mit Forderungen an das Bezirksamt. Außerdem besuchten sie mit einem selbstgemachten Transparent eine BVV und trugen ihre Forderungen bei einer anschließenden Spontandemo auf die Karl-Marx-Straße. Mit ihrem Dagegenhalten haben sie Gropiuswohnen dazu bewegt, die Mieterhöhungen niedriger ausfallen zu lassen – für manche Mieter*innen bedeutete dies Einsparungen von über 50 Euro pro Monat.
Von Einzelhäusern zum Mietentisch
Doch Mieterhöhungen und Verdrängung beschränken sich nicht auf einzelne Häuser. Deswegen gibt es jetzt die Veranstaltungen vom Mietentisch Gropiusstadt. Bei Kaffee und Kuchen kommen Mieter*innen zusammen, die sich für eine bezahlbare Gropiusstadt für alle einsetzen wollen. Gemeinsam mit eingeladenen Expert*innen werden Ideen zur Einschränkung des Mietenwahnsinns diskutiert. Zu Besuch waren unter anderem schon Michael Prütz von der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, Stadtsoziologe Andrej Holm oder Gaby Gottwald (LINKE). Bei einer Kundgebung unter dem Motto „Wir dämmen zurück! Gegen soziale Kälte!“, machten Mieter*innen mit mitgebrachten Topfdeckeln und Pfannen ordentlich Lärm vor dem Büro von Gropiuswohnen, um gegen die drastischen Mieterhöhungen im Rahmen der energetischen Sanierungen zu protestieren.
Über den eigenen Tellerrand
Den Mieter*innen der Gropiusstadt geht es längst nicht mehr nur um ihre eigenen Mietzahlungen. Das Problem liegt in ganz Berlin. Darum hat sich auch zur großen Demonstration gegen den Mietenwahnsinn im April 2019 und zur Demo zum Mietendeckel am 3. Oktober 2019 ein kleiner Block aus Mieter*innen aus der Gropiusstadt zusammengefunden. Für manche von ihnen waren es die erste Teilnahme ihres Lebens an einer Großdemonstration.
Nachdem die Anfänge des Mietentischs Gropiusstadt vorwiegend von den Aktivist*innen der LINKEN organisiert wurden, gibt es mittlerweile eine Planungsgruppe, in der Mieter*innen der Gropiusstadt die Mehrheit bilden. Sie kümmern sich um Organisatorisches oder diskutieren Inhaltliches: Welche Themen sind gerade wichtig? Welche Expert*innen sollen als nächstes eingeladen werden? Der nächste Mietentisch wird eine Informationsveranstaltung zum Mietendeckel sein.
Auf dem Lipschitzplatz ist das Gewitter inzwischen angekommen. Doch die Mieter*innen der Gropiusstadt lassen sich nicht abschrecken. Der eingeladene Arbeiter*innenchor singt kurzerhand in einem spontan organisierten Raum des Gemeinschaftshauses am Platz und alle rücken etwas näher zusammen. Zusammenrücken – das klappt in der Gropiusstadt.