Nach monatelanger Tatenlosigkeit folgte Mitte März plötzlich ein Überbietungswettbewerb der Landesregierungen mit immer rigideren Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) erklärte in einer Pressekonferenz, man gehe jetzt „mit null Toleranz“ vor. Es gelte: „Wir müssen die Unvernünftigen bestrafen, hart und klar.“ Auf die Frage, wie es sich mit Werkshallen und Produktionsstätten verhalte, zeigte sich Laschet jedoch sehr tolerant: „Das gilt nicht für das Arbeitsleben. Da wo noch produziert wird, ist der Appell an die Unternehmen, Abstände soweit wie möglich einzuhalten und Schutzmaßnahmen im Unternehmen zu treffen.“
Keine Einschränkungen im Arbeitsleben
Die Bürger*innen werden drakonisch bestraft, ihr Privatleben wird streng reguliert. Aber an Unternehmen wird bloß appelliert. In vielen Fabriken und Firmen läuft die Arbeit weiter, als wäre nichts gewesen. Konsequentes Abstandhalten ist in engen Werkstätten oder Büros aber kaum möglich. Wo Hunderte Beschäftigte zusammenarbeiten, liefern Handschuhe und Mund-Nasenschutz, sofern sie nicht ständig erneuert werden, kaum wirklichen Schutz. Türklinken, Lichtschalter, Werkzeug, Telefone oder Toilettenspülungen müssten nach jeder Benutzung desinfiziert werden, was kaum möglich ist. In der Corona-Krise werden viele Arbeitsplätze zu Infektions-Hotspots. Um zu ihren Arbeitsstätten zu gelangen, müssen viele Beschäftigte obendrein in vollen Bussen und Bahnen fahren.
Ob ihre Tätigkeiten zurzeit notwendig sind, ob das Infektionsrisiko vertretbar ist, entscheidet alleine der Arbeitgeber. Die Antwort ist selten im Sinne der Beschäftigten. Solange die Konkurrenz weitermacht, muss der eigene Betrieb auch weitermachen. Sonst verliert man Kunden und die Fixkosten wie Miete oder Wartung fressen die Rücklagen auf. Appelle der Politik verhallen hier klanglos.
Primat der Wirtschaft
Marktwirtschaft verhindert schon im Normalbetrieb nachhaltiges und verantwortungsbewusstes Wirtschaften. Unternehmer*innen und Manager*innen tragen Verantwortung immer nur für ihr eigenes Unternehmen. Weil sie in einem knallharten Wettbewerb stecken, müssen Kosten für Arbeits- oder Umweltschutz möglichst niedrig gehalten werden. Alles andere wäre ein Wettbewerbsnachteil.
Gerade in einem Exportland wie Deutschland konkurrieren viele Betriebe mit Firmen in anderen Ländern. Die Drosselung oder der Stopp der Produktion für einen längeren Zeitraum würde Unternehmen dauerhaft schädigen oder in den Ruin treiben. Die Sorge um den Wirtschaftsstandort setzt die Politik unter Druck – schließlich stehen Arbeitsplätze und Steuereinnahmen auf dem Spiel. Das erklärt auch, warum viele Regierungen so lange zögerten mit wirksamen Maßnahmen gegen die Pandemie.
Spekulanten und Krisengewinner
Gleichzeitig zeigen sich die Märkte nicht in der Lage, die Güter so zu verteilen, dass sie dort landen, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Medizinisches Material verzeichnet in den letzten Wochen wahnwitzige Preisanstiege – Schutzmasken etwa um 3.000 Prozent. Das führt auch zu einem Aufblühen der Spekulation und des Schwarzmarkts. Der Bundeswehr sind im März sechs Millionen Atemmasken „verloren gegangen“.
Wer über Geschäftssinn und die nötige Rücksichtslosigkeit verfügt, kann in der Krise viel Geld verdienen. Aber auch die reichsten Deutschen, die Eigentümer von Aldi und Lidl, können sich in diesen Zeiten ganz ohne eigenes Zutun über gigantische Mehreinnahmen freuen. Ihre Mitarbeiter*innen haben davon außer zusätzlichem Stress natürlich nichts. Im Gegenteil, bereits vereinbarte Lohnerhöhungen im Einzelhandel sollen wegen der Krise aufs Jahresende verschoben werden.
Macht und Ohnmacht
Große Ketten wie Mediamarkt-Saturn, H&M, Deichmann oder Karstadt-Kaufhof haben angekündigt, ihre Mietzahlungen auszusetzen. Diesen Schritt erlaubt ihnen die Bundesregierung, aber auch ihre Macht. Die Neukölln-Arcaden finden bestimmt nicht so schnell einen zahlungskräftigen Nachmieter für die Räume von Mediamarkt, auch wenn sie die Gewerbemiete kündigen könnten. Kleine Geschäfte, Kneipen oder Cafés wollen es sich dagegen auf keinen Fall mit ihrem Vermieter verscherzen – viel zu groß ist die Angst vor dem Rauswurf. Auf den Märkten gilt keine Gleichberechtigung sondern das Recht des Stärkeren.
Sozialismus oder Barbarei
Millionen Menschen sind jetzt getrieben von existenziellen Sorgen. Neben der Angst um die eigene Gesundheit und die von Familie und Freunden drohen Massenarbeitslosigkeit und ein Sterben von Läden und Unternehmen. Die kapitalistische Wirtschaft steht vor dem Zusammenbruch.
Nur durch immense Anstrengungen der Staaten kann sie mit Billionen von Steuergeldern gerettet werden. Wir müssen in der kommenden Zeit entscheiden, ob wir ein System am Leben halten, in dem Anarchie auf den Märkten herrscht und Diktatur in den Betrieben. Ein System, in dem nur Profite entscheiden, woran und wie wir arbeiten. Oder ob wir nicht doch umzuschwenken, also die Wirtschaft demokratisieren und sie in den Dienst der Menschen stellen. Statt Profiten würden dann endlich die Bedürfnisse der Bevölkerung und der Umweltschutz im Mittelpunkt stehen. Wir nennen das Sozialismus.