Am 24. April 1945 erreichte die acht Tage zuvor begonnene Offensive der Roten Armee auf Berlin den Neuköllner Norden. In der Nacht hatten sowjetische Truppenteile der 1. Belorussischen Front die Spree auf der Höhe Baumschulenweg/Plänterwald mit Unterstützung von Marineeinheiten der Dnjeprflottille überquert, um auch auf dieser Seite des Flusses ins Berliner Zentrum vorzustoßen.
Am Hertzbergplatz/Braunauer Straße (heute Sonnenallee) war eine vom Nazi-Kampfkommandanten mobilisierte Einheit des »Volkssturms« postiert worden, um die Rote Armee aufzuhalten. Es kam anders. Neuköllner Antifaschisten lösten diese Einheit am 24. April auf und schickten die Männer nach Hause, bevor es zu Kämpfen kam. So wurden Menschenleben gerettet. Überzeugende Argumente waren, die auch von intakt gebliebenen Zellen der KPD und Widerstandsgruppen auf Streuzetteln und Flugblättern verbreitet wurden: Rettet was uns noch verblieben ist. Verhindert die Sprengung von Brücken und Gebäuden. Verhindert eine wochenlange Einschließung Berlins, verhindert damit Not, Elend, Hunger und Tod eurer Angehörigen. Darüber berichtete der in den letzten Kriegstagen zum »Volkssturm« einberufene Neuköllner Antifaschist Werner Zeiger, der vor 1933 aktiv im Arbeitersport war, in der Wassersportsektion des »Roten N«, und während der Nazi-Zeit Kontakt zu den Sportkameraden gehalten hatte.
SS sprengt das Karstadt-Kaufhaus
Die Aktion der Antifaschisten war nicht ungefährlich. SS-Einheiten waren im Rücken der »Volkssturm«-Leute stationiert, die brutal gegen alle vorgingen, die am »Endsieg« auch nur zweifelten. Das waren hier Einheiten der skandinavischen 11. SS-Freiwilligen-Panzergrenadier-Division »Nordland«, die am Flughafen Tempelhof und in der Hasenheide eingesetzt waren, sowie die Reste der französischen 33. SS-Division »Charlemagne« aus Freiwilligen, die von der Regierung Petain 1941 nach Russland geschickt und 1944 in die SS eingegliedert wurden. Ihr Schwerpunkt dort war die sogenannte Partisanenbekämpfung. Die dabei begangenen Kriegsverbrechen umfassen zahlreiche Massaker in und um die Ortschaften Briansk, Gomel, Mohilev, Orscha und Minsk.
Die SS-Leute wussten also, was ihnen nach dem Sieg der Alliierten bevorstand. Um so verbissener und brutaler setzten sie den Kampf fort. Über ihre Stimmungslage wird berichtet: Viele hofften auf die »Wunderwaffe«. Andere konnten nicht glauben, dass die Amerikaner an der Elbe stehen bleiben würden und den Russen Berlin überlassen würden. Und so redete sich jeder einen etwas anderen Sinn ein, den dieser Kampf noch haben könnte. Das Rathaus Neukölln bildete den Gefechtsstand der SS-Einheiten. Rückwärtige Sammelstelle war der Hermannplatz. Am 25. April sprengte die SS das Kaufhaus Karstadt. Verbrannte Erde. Hier lagerten bis kurz vor Kriegsende Waren und Lebensmittel im Schätzwert von 29 Millionen Mark. Unter den Angriffen der Roten Armee mussten sich die SS-Einheiten zum Anhalter Bahnhof und weiter in die Innenstadt zurückziehen. Am 2. Mai mussten auch sie kapitulieren.